- Griechen und Makedonen
- Griechen und MakedonenDie Entwicklung in Griechenland nach der bedingungslosen Kapitulation Athens war zunächst nur düster. Grauenvoll war das gegenseitige Abschlachten im Krieg gewesen; für Athen können wir sagen, dass sich seine Bevölkerungszahl dramatisch gesenkt hat. Sie fiel, grob geschätzt, von rund 50000 erwachsenen Männern auf etwa die Hälfte und hat sich von diesen ungeheuren Verlusten nie wieder erholt. Politisch hatte die durch Sparta überall eingeführte Ordnung keinen Bestand. Der Peloponnesische Krieg war ja ausgebrochen aus Furcht vor der allmählichen Unterjochung Griechenlands durch Athen, und Athen hatte in seinen öffentlichen Äußerungen alles getan, um diese Furcht zu nähren. Demgemäß war die Devise, unter der der Krieg auf spartanischer Seite geführt wurde, die Autonomie der griechischen Städte; aber, wie es in einem solchen lang andauernden Prozess zu gehen pflegt, am Ende kam etwas ganz anderes dabei heraus. Im Verlauf des Krieges entsprach die innere Verfassung der Städte ihrer außenpolitischen Parteinahme, und beides bedingte sich gegenseitig. Wer demokratisch verfasst war, stand zu Athen, die Oligarchien standen zu Sparta. Lysander zog systematisch die Konsequenzen daraus. Er sorgte planmäßig dafür, dass überall Oligarchien eingesetzt wurden, bevorzugt wurde eine kleine Gruppe von zehn Männern. Demgemäß nannte man diese Herrschaftsform Dekarchie, und weil eine solch enge Oligarchie sich alleine nicht halten konnte, sorgte in zweifelhaften Fällen eine spartanische Besatzung unter einem Harmosten dafür, dass alles in spartanischem Sinne ablief. Griechenland war also vom athenischen demokratischen Regen in die spartanische oligarchische Traufe gekommen.Athen war in dieses System eingebunden. Es wurde eine Gruppe von dreißig Mann eingesetzt, die als die »Dreißig Tyrannen« in die Geschichte eingegangen sind und, mit einer spartanischen Besatzung auf der Akropolis, ein blutiges Terrorregiment führten. An ihrer Spitze stand der Intellektuelle Kritias, der, Platons Onkel zweiten Grades, auch in platonischen Dialogen vorkommt. Dass es zu Auseinandersetzungen innerhalb der Oligarchie kam, ist einleuchtend, und sie brauchen hier nicht geschildert zu werden. Was in der Geschichte aber eher ungewöhnlich ist, ist die Tatsache, dass eine Emigrantenarmee von außen — Theben hatte den Emigranten Exil gewährt — den Umsturz herbeiführen konnte.Unter der Führung des Thrasybulos drang diese Armee von Böotien in Attika ein und besetzte dann Piräus; Kritias fiel im Kampf gegen sie. Nach anfänglichem militärischen Widerstand Lysanders ließen die Spartaner unter ihrem König Pausanias jedoch die Demokraten gewähren. Die Demokratie wurde wieder hergestellt, und dann geschah etwas wirklich Erstaunliches. Um den — in Korkyra erstmals und so schrecklich aufgetretenen — Zirkel von Rache und Vergeltung zu durchbrechen und die streitenden Bevölkerungsteile miteinander zu versöhnen, wurde 403/402 v. Chr. eine Amnestie beschlossen, nur die wenigen aus dem engsten Oligarchenkreis wurden zur Verantwortung gezogen. Das allein ist vielleicht nicht so überraschend; überraschend jedoch ist, dass sich die Athener daran hielten. Es trat eine wirkliche Versöhnung ein, die Demokratie hatte endgültig gesiegt.Allmählich geriet auch die innergriechische Politik wieder in Bewegung. Der Fehlschlag in der Behandlung Athens und die prinzipielle und faktische Unmöglichkeit, die straffe spartanische Herrschaft im Ägäisgebiet aufrechtzuerhalten, führte zum Sturz Lysanders. Wie sich etwa nach den Perserkriegen gezeigt hatte, als sich Sparta aus dem Hellenenbund zurückgezogen hatte, überforderte eine so weiträumige Politik Spartas Kapazitäten; das schließliche Nichteingreifen in Athen war also eine Rückkehr zur traditionellen spartanischen Außenpolitik. Anders verhielt sich Sparta zunächst in Kleinasien. 412 hatte es sich verpflichtet, die in den Perserkriegen befreiten Griechenstädte wieder unter persische Herrschaft gelangen zu lassen, und Spartas Verbündeter, der Prinz Kyros, hatte dort Oligarchien an die Macht gebracht, die ihm die Städte unterwarfen. Inzwischen war Kyros gestürzt worden, und an seine Stelle war wieder der früher abgesetzte Satrap Tissaphernes getreten.Das Abenteuer des Kyros, an sich vielleicht nur ein minderes Ereignis, hat durch die Darstellung des Xenophon klassischen Rang bekommen, es ist aber doch auch von symptomatischer Bedeutung. Kyros hatte Absichten auf den persischen Thron, als 404 sein Halbbruder Artaxerxes II. Großkönig wurde. Im Einvernehmen mit Sparta stellte Kyros eine Söldnertruppe auf, an der sich als Offizier auch der Athener Xenophon beteiligte, und zog ins Innere des Reiches gegen Artaxerxes. Die Entscheidungsschlacht fand 401 v. Chr. bei Kunaxa in Babylonien statt. Kyros fiel, und damit war die Thronfrage geklärt; die 10000 griechischen Söldner kämpften sich ihren Weg zurück bis ans Schwarze Meer, bei dessen Anblick sie in den Glücksruf »Thalassa, thalassa!« (»Meer, Meer!«) ausbrachen, denn nun waren sie gerettet.Symptomatisch ist dieses Intermezzo deshalb, weil es nicht nur eine innere Schwäche des Perserreiches, sondern auch die beginnende Verschränkung der persischen und der griechischen Politik deutlich zeigt. So auch im Verhalten Spartas im Hinblick auf Kleinasien. Sparta hatte sich kompromittiert, und Tissaphernes betrieb ohnehin — oder als politische Waffe gegen Sparta — die Installierung von Demokratien. Zudem hing Sparta natürlich der Verrat an den Errungenschaften der Perserkriege nach, und so hatte es keine Schwierigkeiten, einem Hilferuf der kleinasiatischen Griechen zu folgen. 400 v. Chr. begann der Krieg, ab 399 unter dem Kommando des spartanischen Königs Agesilaos II. Der Krieg zog sich hin, und in dieser Situation eröffnete Persien im Rücken der Spartaner eine zweite Front. Hatte persisches Geld, den Spartanern für den Bau von Kriegsschiffen und zur Bezahlung von Söldnern zur Verfügung gestellt, den Peloponnesischen Krieg entschieden, so wandte Persien dieses Mittel nun gegen Sparta an. Die Erbitterung gegen Sparta war in Griechenland so stark, dass sich Sparta unversehens einer seltsamen Koalition gegenübersah: Der Erzfeind Argos, das eben erst besiegte und mit Spartas Duldung wieder demokratisch regierte Athen und die klassischen spartanischen Verbündeten und glühenden Athengegner Korinth und Theben schlossen sich gegen Sparta zusammen. Agesilaos musste aus Kleinasien zurückbeordert werden.Es wird noch komplizierter. Konon, einer der athenischen Strategen, der bei Aigos Potamoi versagt hatte, war nach Persien ins Exil gegangen. Dort wurde er Kommandeur der persischen Flotte, und in dieser Eigenschaft, aber auch als athenischer Patriot, der das Beste für seine Vaterstadt bewirken wollte, siegte er 394 bei Knidos vernichtend über die spartanische Flotte. Die Folgen waren der komplette Zusammenbruch der spartanischen Herrschaft in der Ägäis und der triumphale Einzug Konons in Athen.Die Langen Mauern zwischen Athen und seinem Hafen Piräus wurden wieder aufgebaut, und nach und nach verbündete sich eine ägäische Stadt nach der anderen wieder mit Athen. Gewiss gab es noch zahlreiche militärisch-außenpolitische Turbulenzen und zahlreiche Seitenwechsel hin und her in Griechenland, in Persien und im Verhältnis aller Beteiligten untereinander, aber es kam dann 386 doch zu einer Art vorläufigem Abschluss. Nach ausgiebigen Vorverhandlungen hatte der Perserkönig erklärt, er übe die Herrschaft über Kleinasien aus, Lemnos, Imbros und Skyros sollten athenisch, alle anderen griechischen Städte aber autonom sein, und mit diesem einseitigen Akt erklärten sich die Griechen auf einem Friedenskongress in Sparta einverstanden; Sparta wurde die Aufgabe übertragen, in Griechenland für die Einhaltung dieser nach seiner Herkunft »Königsfrieden« genannten Generalbereinigung zu sorgen.Die Geschichte der Folgezeit soll nur summarisch zur Sprache kommen; sie ist, im Gegensatz zu den schlimmen, aber klaren Verhältnissen des 5. Jahrhunderts v. Chr., sehr unübersichtlich, wenn auch weniger grausam. Gekennzeichnet ist sie durch ständig wechselnde Machtkonstellationen, die dann im Verlauf des Jahrhunderts durch die Vormachtstellung Makedoniens abgelöst wurden. Die Rolle Spartas als verlängerter Arm des Großkönigs wurde nicht akzeptiert; mehrfach versuchten die Griechen, dadurch Frieden zu halten, dass sie eine Art kollektiven Sicherheitssystems errichteten. Es hieß »Allgemeiner Friede«, koine eirene, und bestand darin, dass alle Beteiligten sich gegenseitig Beistand im Falle eines Angriffs zusicherten; den Betrachter des 20. Jahrhunderts wundert es nicht, dass es nicht funktionierte. 378 v. Chr. konnte Athen sein Seereich erneuern, freilich hatten seine Bundesgenossen gelernt. Einerseits hatten sie das Bedürfnis, sich gegen die spartanische Hegemonie zusammenzuschließen, andererseits erinnerten sie sich an die bösen Erfahrungen, die sie mit Athen gemacht hatten, und daher enthielten die Vereinbarungen dieses 2. Attischen Seebundes Bestimmungen, die eine Herrschaft Athens verhindern sollten und auch wirklich verhinderten. Kurzfristig gab es dann sogar eine neue, dritte Hegemonialmacht in Griechenland, Theben. Unter der Leitung der charismatischen Politiker und Feldherrn Pelopidas und Epameinondas siegte Theben 371 v. Chr. bei Leuktra in Böotien über das spartanische Heer; etwa 350 Spartiaten fielen, und das war bei der ohnehin zurückgehenden Bevölkerungszahl Spartas ein tödlicher Schlag.Bald danach, 369, befreiten sich die Messenier, mit thebanischer Hilfe, in einem letzten Aufstand endlich und endgültig von Sparta. Dieses Volk, im 7. Jahrhundert v. Chr. unterworfen und helotisiert, durch Auswanderung geschwächt, das mehrere vergebliche Aufstände hinter sich hatte und das im Peloponnesischen Krieg den Athenern beistand, um von Sparta frei zu werden, dieses Volk war nun zum ersten Mal wieder unabhängig und blieb es. Unterhalb des Berges Ithome bauten die Messenier ihre Stadt Messene, mit meterdicken Stadtmauern. Sie wussten, warum. Die Vormachtstellung der Thebaner allerdings dauerte nicht lange. 362 fiel Epameinondas in der Schlacht bei Mantineia, dem Verbündeten Spartas und Athens, und damit endete Thebens kurze Hegemonie.Philipp II. und MakedonienDrei Jahre später kam im Norden ein Mann an die Macht, dessen Herrschaft, innerhalb der allgemeinen Voraussetzungen und Entwicklungen, die griechische Welt grundlegend verändern sollte, Philipp II. von Makedonien. Makedonien war ein Land mit bäuerlicher Bevölkerung, das gewissermaßen auf dem Stand der homerischen Gesellschaft stehen geblieben war. Städte gab es nicht, es gab einen Adel und Könige. Die wehrhaften Bauern bildeten das Heer, der Adel die Reiterei, und das Königtum war vom guten Willen beider abhängig. Daher hatte dieses Land mit ständigen Thronstreitigkeiten zu kämpfen und spielte in der griechischen Geschichte eine auch seiner geographischen Lage entsprechende randständige Rolle. Von der makedonischen Sprache ist wenig bekannt; aus dem wenigen und aus den Eigennamen ergibt sich aber, dass es ein griechischer Dialekt war (der makedonische Name Berenike heißt Siegbringerin: Pherenike). Die Makedonen wurden aber von den anderen Griechen nicht als ihresgleichen anerkannt, mit Ausnahme der Königsdynastie der Argeaden, deren Angehörige an den Olympischen Spielen teilnehmen durften.359 v. Chr. trat nun Philipp zunächst als Regent, dann als König die Herrschaft an, und unter seiner Regierung wurde nicht nur die Königsherrschaft in Makedonien stabilisiert, sondern Makedonien dehnte seine Herrschaft über ganz Griechenland und dann, unter Philipps Sohn Alexander, über ganz Vorderasien aus. Gewiss ist Philipp eine ungewöhnlich starke Persönlichkeit gewesen, aber aus der Tatsache, dass seine Expansion dauerhaft war und nicht — wie bei Epameinondas — mit seinem Tod wieder zusammenbrach, ergibt sich, dass mehr als ein tatkräftiger und geschickter König hinter ihr stand. Zum einen ist es die Dynamik des makedonischen Volkes gewesen, zum anderen die Erschöpfung Griechenlands und dann Persiens. Die Katastrophe des Peloponnesischen Krieges ist nie verwunden worden, und das anschließende halbe Jahrhundert mit seinen ungezählten Umschwüngen, kleinlichen und ziellosen Rivalitäten hatte Griechenland in einen Zustand der auch innerlichen Paralyse versetzt. Auch die sozialen Verhältnisse hatten sich verschlechtert; trotz des Aderlasses der Kriege gab es einen starken Bevölkerungsüberschuss, der sich in der Existenz beschäftigungsloser Männer dokumentierte, die ihren Unterhalt in den immer mehr anschwellenden Söldnerformationen fanden, während die Bürgerheere abnahmen.So war es kein Wunder, dass sich in Griechenland die Stimmen mehrten, die dafür plädierten, sich der Führung Makedoniens anzuvertrauen und vielleicht durch einen Krieg gegen Persien neues Siedlungsland, jedenfalls aber ein gemeinsames Ziel zu finden, das die internen Streitigkeiten gegenstandslos machen sollte. Hinzu kam, dass die Staatsform der Monarchie als mögliche und vielleicht wünschenswerte an Prestige gewann. Der Athener Xenophon verherrlichte den Spartanerkönig Agesilaos II., Isokrates den zyprischen König Euagoras I., und auch der Tyrann Dionysios II. von Syrakus wurde als legitimer Herrscher empfunden. Das heißt nicht, dass Griechenland sich freiwillig Philipp in die Arme warf. Die Kräfte, die in ihm einen Eroberer sahen, den man bekämpfen müsse, setzten sich innenpolitisch durch; dass sie aber eine starke Gegenbewegung niederkämpfen mussten, macht den Bewusstseinsumschwung deutlich, und ihre dann dauerhafte äußere Niederlage war Ausdruck der veränderten Verhältnisse. Trotzdem kann man dieser Politik des Demosthenes die innere Anteilnahme nicht versagen, vielleicht gerade deshalb, weil sie die Entwicklung gegen sich hatte.Es lohnt sich nicht, das militärisch-politische Vordringen Philipps im Detail nachzuzeichnen. Unter ständigen Friedensbeteuerungen unterwarf er das ganze nördliche Ägäisgebiet zwischen Thessalien und Thrakien einschließlich der dortigen Griechenstädte wie Amphipolis und Methone, und den Griechen und im Besonderen Athen war es nicht möglich, ihm Widerstand entgegenzusetzen. Athen war durch eine Abfallbewegung im Bund stark geschwächt, den Bundesgenossenkrieg, der von 357 bis 355 v. Chr. dauerte und mit der fast völligen Auflösung des Seebundes endete. Ein Aufschrei ging durch die griechische Welt, als Philipp 348 Olynth auf der Chalkidike eroberte und dem Erdboden gleichmachte, und doch begab sich 346 eine athenische Gesandtschaft zu ihm und schloss einen Frieden, der nach Philokrates, dem Führer der Gesandtschaft, genannt wird — Demosthenes war auch dabei.Philipp verschaffte sich durch Mitgliedschaft im delphischen Amphiktyonenrat politischen Einfluss in Mittelgriechenland, und als er 340 v. Chr. athenische Getreideschiffe bei der Durchfahrt durch den Bosporus und den Hellespont aufbrachte, traf er Athen an seinem Nerv: Athen begann jetzt den Krieg. Nun war Schluss mit dem Finassieren, Philipp erschien in Griechenland, Demosthenes brachte eine gesamtgriechische Koalition unter Einschluss Thebens zustande, die Philipp militärisch entgegentrat. Aber am 2. August 338 wurde sie bei der Stadt Chaironeia in Böotien vernichtend geschlagen. Griechenland gehörte jetzt König Philipp von Makedonien.Philipp war kein brutaler Haudegen, sondern ein kluger Politiker. Athen, das Zentrum des Widerstandes, wurde geschont und musste nur auf den Thrakischen Chersones und den Seebund verzichten, der aber ohnehin nur noch pro forma bestanden hatte. In Theben und Chalkis gab es Besatzungen, aber im Übrigen sicherte Philipp seine Herrschaft politisch-psychologisch. Politisch schlossen 337 v. Chr. alle griechischen Staaten — mit Ausnahme Spartas, das aber den Sonderling spielte und unwichtig geworden war — mit Philipp in Korinth ein Bündnis, das eine Kombination der koine eirene mit einer Symmachie darstellte. Das bedeutete, dass alle Beteiligten verpflichtet waren, einem Angegriffenen zu Hilfe zu kommen, und dass gleichzeitig ein Militärbündnis nach Art des Peloponnesischen Bundes geschlossen wurde. Philipp wurde auf Lebenszeit zum Bundesfeldherrn dieses von uns heute Korinthischen Bundes bestellt, dem das alleinige Kommando im Krieg zustand.Und es fand sich auch gleich ein Krieg, den dieses Bündnis gemeinsam führen wollte und der dazu bestimmt war, den Griechen die makedonische Herrschaft annehmbar zu machen. Gemäß den Vorschlägen, die schon seit einiger Zeit an Philipp herangetragen worden waren, sollte Persien bekriegt werden, offiziell wegen der Frevel, die es in den Perserkriegen vor 150 Jahren begangen hatte (!), tatsächlich aber, von griechischer Seite aus gesehen, um Philipp zu beschäftigen und womöglich eine verstärkte Auswanderung nach Asien zu ermöglichen; von Philipp aus gesehen, um weiter Macht und Prestige zu gewinnen. 336 waren schon die ersten 10000 Mann nach Kleinasien übergesetzt, da wurde Philipp ermordet. Anschließend geschah das Unglaubliche: Sein Sohn Alexander III. setzte das gewaltige Werk seines Vater noch gewaltiger fort.Alexander der Große gründet ein WeltreichOb der Mord an Philipp persönliche oder politische Gründe hatte, kann hier auf sich beruhen bleiben. Tatsache ist, dass der zwanzigjährige Sohn schnell die Nachfolgefrage in seinem Sinne löste und auch vom Korinthischen Bund als Nachfolger seines Vaters eingesetzt wurde. Theben versuchte 335 v. Chr. abzufallen, wurde aber schnell erobert und von Alexander, der einen Beschluss des Bundes hinter sich hatte, dem Erdboden gleichgemacht. Alle wussten nun, woran sie waren, und der König konnte den Perserkrieg wieder aufnehmen; in Europa ließ er Antipatros an der Spitze starker Truppen zurück.Das Heer, das Alexander befehligte, bestand aus etwa 35000 Mann, je zur Hälfte aus Makedonen einerseits und griechischen Kontingenten mit Söldnern und barbarischen Hilfstruppen andererseits. Das sieggewohnte makedonische Heer hatte als Kerntruppe die Phalanx der pezhetairoi, der »Gefährten zu Fuß«, bestehend aus freien makedonischen Bauern; ihre berühmte speziell makedonische Waffe war die sarissa, eine 4 m lange Lanze. Leichter bewaffnet waren die Hypaspisten, »Schildtruppe«, ebenfalls Fußsoldaten. Die Reiterei wurde aus dem makedonischen Adel gebildet und hatte die Bezeichnung hetairoi, »Gefährten«. Diese Bezeichnungen charakterisieren die besondere persönliche Bindung zwischen dem Heer und dem König; darauf beruhte unter anderem die Stärke Makedoniens, die sogar so weit ging, dass das Heer bei wichtigen Problemen befragt wurde. Ob man daraus auf eine Art Verfassungsinstitution der makedonischen Heeresversammlung schließen kann, ist zweifelhaft; es wird sich eher um einen informellen politischen Vorgang gehandelt haben, der an homerische Verhältnisse erinnert.Der König setzte über den Hellespont, und beim Betreten asiatischen Bodens warf er vom Landungsboot aus einen Speer aufs Land, um symbolisch von Asien Besitz zu ergreifen. Er bekränzte das — vermeintliche — Grab Achills, der ihm ein Vorbild war, denn Alexander war von keinem Geringeren als von Aristoteles in griechischer Bildung erzogen worden und hielt, wie es die allgemeine Meinung war, die homerische Dichtung für die Wiedergabe wirklich stattgefundener Ereignisse. Auf persischer Seite traten ihm kleinasiatische Satrapen entgegen, maßgeblich unterstützt von einem griechischen Söldnerheer unter dem Befehl des Rhodiers Memnon, der zusammen mit seinem Bruder Mentor schon lange in persischen Diensten gestanden hatte. Am kleinen Fluss Granikos kam es 334 v. Chr. zur ersten Schlacht, die Alexander für sich entschied. Nach der Schlacht widerstand Milet noch eine Weile, aber sonst ergaben sich alle von Persern gehaltenen Städte, und Alexander zog in Sardes ein.Wie sein Vater dachte Alexander nach den militärischen Siegen sofort daran, wie das Gewonnene politisch zu sichern sei. Die Griechenstädte wurden freigelassen, die Satrapien bekamen makedonische Satrapen, in Karien beließ er Ada, die Schwester des Satrapen Mausolos, als Dynastin und ließ sich sogar von ihr adoptieren. 333 zog er in Gordion ein, der alten Königsstadt Phrygiens, in der einst Midas geherrscht hatte, und in seiner Vorliebe für symbolische Handlungen löste er den kunstvollen Gordischen Knoten, mit dem Joch und Deichsel eines Wagens verbunden waren, der als Weihgeschenk im Tempel der Burg stand. Die Weissagung lautete, der werde Asien beherrschen, der den komplizierten Knoten lösen könne, und Alexander löste ihn — die eine Version sagt, er habe das dadurch getan, dass er den Pflock der Deichsel herauszog, die andere, dass er den Knoten mit dem Schwert durchhieb. Im November desselben Jahres traf er dann auf das persische Heer, das ihm unter dem Kommando des Großkönigs Dareios III. endlich entgegengezogen war. Bei Issos kam es zur Schlacht. Alexander siegte abermals, Dareios floh unter Zurücklassung seiner Familie, die von Alexander mit allen Ehren behandelt wurde.Weiter südlich ging es nun, die Küste entlang, gegen die ruhmreichen Phönikerstädte; es waren phönikische Schiffe, aus denen großenteils die persische Kriegsflotte bestand. Auch hier ergab sich ihm alles — wie auch ganz Zypern —, nur Tyros, die Inselstadt, verweigerte die Unterwerfung. Sieben Monate dauerte die Belagerung, und erst als die Einkreisung mit Frachtschiffen gelang, von denen aus die Belagerungsmaschinen eingesetzt werden konnten, wurde die Stadt erobert und grausam bestraft. Jetzt stand Ägypten als nächstes Ziel an.Für die Einnahme von Gaza brauchte Alexander noch einmal zwei Monate, aber sonst fiel ihm alles zu. 332 v. Chr. übergab ihm der persische Satrap in der Hauptstadt Memphis formell die Herrschaft, und Alexander ließ sich zum ägyptischen Pharao erheben. Er fuhr den Nil hinab bis ans Meer, und hier nun gründete er zum ersten Mal eine Stadt, der er seinen eigenen Namen gab, Alexandria; sie sollte sich alsbald zu einer der größten Städte des gesamten Altertums entwickeln. Von dort aus fand eine nichtmilitärische Expedition nach Westen statt, zur Oase Siwa, in der sich ein Orakel des Gottes Ammon (die griechische Form von Amun) befand. Dieser ägyptische Gott Amun war seit längerem auch in Griechenland bekannt, wurde verehrt und sein Orakel wurde befragt. So ist es nicht überraschend, dass der griechisch geprägte makedonische König, der gerade auch ägyptischer König geworden war, Ammon einen Besuch abstatten und ihn befragen wollte. Vor der Tür des Tempels begrüßte ihn der Priester als »Sohn des Amun«, wie es sich für einen ägyptischen König gehörte, und was sie dann drinnen miteinander besprachen, blieb unbekannt. Trotzdem hatte dieser Besuch weit tragende Folgen für Alexanders Herrschaftslegitimation.Und weiter ging es. Schon nach Issos hatte Dareios begonnen, Vermittlungsvorschläge zu machen, die alle abgelehnt wurden, und im Oktober 331 v. Chr. kam es dann beim Dorf Gaugamela östlich des Tigris zu einer Schlacht, die sich als die entscheidende herausstellen sollte. Alexander siegte abermals, und abermals gelang es ihm nicht, Dareios gefangen zu nehmen, der wieder, vielleicht vorzeitig, die Sache verloren gegeben hatte und geflohen war. Jetzt erklärte sich Alexander zum König von Asien, proklamierte sich also zum Nachfolger des Perserkönigs. Trotzdem verfolgte er Dareios nicht, sondern nahm von Babylon Besitz; und so, wie er sich in Ägypten als Pharao einsetzen ließ, opferte er in Babylon als König von Babylon dem Staatsgott Marduk. Babyloniens persischer Satrap Mazaios, der bei Gaugamela den rechten Flügel befehligt hatte, wurde im Amt belassen, freilich wurde ihm eine makedonische Besatzung beigegeben und die Finanzverwaltung in makedonische Hände gelegt.Ende des Jahres zog Alexander in Susa ein, in die alte Hauptstadt Elams, die dann die politische Residenz der Großkönige geworden war. Bisher waren Griechen dorthin als Flüchtlinge gekommen oder als Gesandte oder Bittsteller, und von Susa aus hatte 386 v. Chr. der König der Könige seinen Frieden den Griechen »hinabgesandt«; jetzt setzte sich der Hegemon des Korinthischen Bundes auf den achämenidischen Thron, schickte die Statuengruppe der Tyrannenmörder Harmodios und Aristogeiton, die Xerxes entführt hatte, wieder nach Athen und nahm den aufgehäuften Staatsschatz in Beschlag.Im Frühling des nächsten Jahres übergab ihm der Befehlshaber von Persepolis diese traditionelle und repräsentative persische Hauptstadt mit ihren herrlichen Bauten. Auch heute noch ist vieles von ihnen zu sehen, obwohl Alexander sie auf einer Siegesfeier in Brand stecken ließ. War es ein Akt der Trunkenheit, die ihn sogar eine Hetäre damit beauftragen ließ, die Brandfackel zu werfen? War es wohl kalkulierte politische Absicht? Die Unklarheit, die darüber herrscht, spiegelt aber eigentlich nur die Unklarheit der Situation wider. Einerseits war Alexander der Feldherr des vereinigten makedonisch-griechischen Heeres, und wenn er in dieser Eigenschaft Racheakte beging, war das nach der allgemeinen Auffassung nicht nur verzeihlich, sondern fast schon eine Verpflichtung. Auf der anderen Seite beanspruchte er ja die Rechtsnachfolge des Großkönigs und hätte in dieser Eigenschaft Persepolis schonen müssen.Aber noch lebte Dareios, und Alexander machte sich nun an die Verfolgung. Nach dem Einzug in Ekbatana, der Hauptstadt der Meder, entließ er die griechischen Kontingente, um zu zeigen, dass er nun nicht mehr der Bundesfeldherr, sondern der makedonische König von Asien war. In Nordiran kam Alexander dem fliehenden Dareios immer näher, und schließlich holte er ihn ein — fand ihn aber nur noch als Leiche vor. Er war von Bessos, dem Satrapen von Baktrien und Kommandeur des rechten Flügels bei Gaugamela, umgebracht worden. Alexander behandelte seinen toten Vorgänger mit Respekt. Nun war er endgültig und unwiderruflich der König der Könige.Was Alexander, seinen Truppen und seinen Befehlshabern jetzt bevorstand, war so wenig ein Spaziergang wie der ganze bisherige Zug; die schnelle Erzählung der Ereignisse muss darauf verzichten, die einzelnen Etappen mit ihren militärischen, topographischen und klimatischen Schwierigkeiten auszumalen, die immer wieder Höchstleistungen an Energie, Ausdauer, Intelligenz und Geistesgegenwart erforderten. Aber was jetzt kam, übertraf in seinen Tag für Tag neu auftretenden Anforderungen alles bisher Dagewesene; keine Entscheidungsschlachten waren mehr zu schlagen, sondern zähe, geduldige und langwierige Eroberungsarbeit war erforderlich. Hinzu kam, dass jetzt innere Probleme auftraten, nämlich makedonisch-griechischer Widerstand gegen das zunehmende Heranziehen von Persern und anderen Einheimischen zur Verwaltung und militärischen Unterstützung.Jedenfalls brauchte Alexander nun drei Jahre, um den östlichen Teil des Perserreiches zu unterwerfen. Die größten Schwierigkeiten machten ihm die Völker im Nordosten des Reiches, also in der Sogdiane und in Baktrien, den heutigen Staaten Usbekistan, Tadschikistan und Afghanistan; es gab trotz einiger Verstärkungen aus Griechenland verlustreiche Kämpfe. Zwar wurde Bessos an Alexander ausgeliefert, der erst verstümmelt und dann einem Bruder des Dareios zur Hinrichtung übergeben wurde, aber kaum zu überwältigen war der einheimische Fürst Spitamenes. Er war die Seele des Widerstandes, und erst mit seiner Ermordung und durch die Einnahme zweier für unüberwindlich gehaltener Felsburgen konnte Alexander die Sogdiane und Baktrien unterwerfen. Während er seit Mazaios in Babylon oftmals Einheimische zu Satrapen gemacht hatte, setzte er diesmal wieder einen Makedonen, Amyntas, ein.Im Sommer 327 v. Chr. ging es an die Eroberung Indiens. Nach den Vorstellungen Alexanders fehlte zur Komplettierung nur noch dieser letzte Teil des Perserreiches Dareios'I., und dahinter musste gleich der Ozean beginnen, der die Grenze der Welt überhaupt darstellte. Alexander bewegte sich — immer unterbrochen von schweren Kämpfen und Belagerungen — durch das afghanisch-nordpakistanische Bergland in das Fünfstromland hinab, in den Pandschab. Dort ging den Europäern zum ersten Mal auf, dass sie es nicht mit einer pittoresken Randzivilisation zu tun hatten, sondern mit einer großen, alten, voll entfalteten Schriftkultur, und immer beunruhigender dürften die Nachrichten gewesen sein, dass deren geographische Ausdehnung unabsehbar sei. Zunächst half man sich damit, alles ins Griechische umzuinterpretieren, indem man etwa den vedischen Gott Krishna mit Herakles und Indra mit Dionysos gleichsetzte, und nur die asketisch lebenden Fakire machten Schwierigkeiten — man hatte aber Ehrfurcht vor ihnen, erinnerte sich an die beginnende Bewegung der Kyniker in Griechenland und nannte sie Gymnosophisten, »nackte Weise«.Jenseits des Indus lag die Stadt Taxila, deren König Taxiles sich schon früher Alexander zur Verfügung gestellt hatte, an sein Königreich aber schloss sich das des Poros an, und mit ihm kam es im Sommer 326 zur letzten großen Feldschlacht. Poros wartete mit seinem Heer, zu dem auch Elefanten gehörten, auf der östlichen Seite des Hydaspes. Sehr viel breiter war er als der Granikos, mit dem Alexanders Siegeszug begonnen hatte, sehr viel gefährlicher war das unbekannte Heer, und Alexanders Soldaten hatten nach acht Jahren einiges hinter sich. Trotzdem siegte Alexander abermals, behandelte den unterlegenen Herrscher königlich und setzte ihn zum Satrapen seines früheren Reiches ein. Jetzt häuften sich die Nachrichten über all die Völker, Städte und Reiche, die sich an das Reich des Poros anschlossen. Dennoch zog Alexander mit einem Teil des Heeres weiter, erreichte den östlichsten Fluss des Pandschab, den Hyphasis, aber hier versagte ihm nun sein Heer die Gefolgschaft.Es war inzwischen klar geworden, dass der Indus nicht wie vermutet der Oberlauf des Nil war, und es bestand Gewissheit darüber, dass sich weiter östlich ein bisher unbekannter Strom befand, der Ganges. Vielleicht muss man nicht von einer ausgesprochenen Meuterei reden, aber das Widerstreben der Soldaten weiterzuziehen war so entschieden, dass Alexander jetzt, als sein Charisma anscheinend seine Grenzen gefunden hatte, zum letzten Mittel griff, zum Liebesentzug. Er zog sich in sein Zelt zurück, blieb dort drei Tage, aber die Soldaten blieben standhaft, und er musste sich fügen. Alexander brach den Feldzug ab, um wieder den Indus zu erreichen und auf ihm zum Meer zu gelangen.Im Herbst 326 v. Chr. traf Alexander wieder am Hydaspes ein, und nach umfangreichem Flottenbau begab sich das Heer auf die Rückfahrt, ein Teil zu Schiff, ein Teil zu Lande. Eine Spazierfahrt war auch das nicht. Am Unterlauf des Indus wurde eine Vorausabteilung unter Krateros auf dem Landweg nach Westen geschickt, während der Hauptteil des Heeres am Indusdelta geteilt wurde. Alexander selbst opferte am endlich erreichten Ozean und nahm dann den Landweg, die Flotte unter Nearchos fuhr in Küstennähe in Richtung Persischer Golf. Der Rückmarsch durch die Wüste Gedrosiens stellte, was die körperlichen Anstrengungen und das Gefühl des Verlassenseins betraf, alle bisherigen Unternehmungen in den Schatten; fast wäre die welthistorische Gestalt Alexanders des Großen verschollen. Es gelang Nearchos, an der Straße von Hormus mit Alexander zusammenzutreffen, zur Erleichterung Alexanders, zum Entsetzen Nearchos' wegen des heruntergekommenen Zustandes des Heeres. Von nun an ging es leichter, Anfang 324 v. Chr. traf Alexander in Pasargadai und dann in Persepolis ein und begann mit neu erwachter Energie, in dem so lange verlassenen Teil seines Reiches Ordnung zu schaffen.Schon auf dem letzten Teil seines Marsches ließ er Satrapen hinrichten, die sich seine Abwesenheit zunutze gemacht und begonnen hatten, eigene Herrschaften aufzurichten, und setzte zuverlässige Makedonen ein; Satrap der Persis und der Susiane wurde Peukestas, der Persisch gelernt hatte. Am bekanntesten ist die Selbstherrlichkeit des Finanzstatthalters Harpalos geworden. Harpalos, ein Makedone, der wegen einer körperlichen Behinderung nicht in den Osten hatte mitziehen können, hatte ein anstößig üppiges Leben geführt, sich eine Privatarmee zugelegt und Tausende von Talenten unterschlagen. Beim Herannahen Alexanders flüchtete er nach Athen, verteilte große Bestechungsgelder, unter anderem auch an Demosthenes, und wurde schließlich ermordet.Wir haben Alexanders Lauf durch Asien vom Anfang bis zum Ende in seinen äußeren Ereignissen verfolgt, und dabei könnte der Eindruck entstanden sein, als sei es einzig auf die Person Alexanders und seine Intuition angekommen oder auf sein Genie. Vielleicht war die ausschlaggebende Komponente dieses Siegeslaufes wirklich sein persönliches Charisma, das ihm auch die Anhänglichkeit seiner Soldaten sicherte, aber mit Charisma allein erobert man kein Weltreich. Von den objektiven Bedingungen abgesehen, waren großes Organisationstalent und große militärisch-politische Intelligenz am Werk. Die Struktur des Heeres, des wichtigsten Instrumentes, hatte er von seinem Vater übernommen und weiterentwickelt, insbesondere durch eine immer stärkere Eingliederung persischer und anderer Truppeneinheiten. Aber es war nicht nur das Heer, das zum Pandschab und zurück gezogen war. Vielleicht war es die Wirkung des Unterrichts, den Aristoteles, der große Wahrnehmer der Wirklichkeit, Alexander hatte angedeihen lassen, dass der König auch Landvermesser und Naturwissenschaftler auf die Reise mitnahm, die die zu erwartenden neuen Sachverhalte gewissenhaft aufnehmen sollten; der Zug hatte außer der — erst allmählich immer deutlicher werdenden — Absicht der militärisch-politischen Eroberung des gesamten Perserreiches auch den Zweck, die Oberflächengestalt der Erde und ihre Ausdehnung bis zum Ozean festzustellen.Das war ein Zweck für sich; konstitutiv für den Erfolg des Zuges war die Tatsache, dass Alexander auch daran dachte, die hinter sich gelassene griechische Welt über den Verlauf und den Erfolg seines Zuges auf dem Laufenden zu halten. Dass die Verbindungen mit der Heimat nie abrissen, geht aus dem gelegentlichen Eintreffen von Nachschub hervor. Aber es kam auch darauf an, die Meinung zu Hause zu formen, und zu diesem Zweck wurde ein Großneffe des Aristoteles mitgenommen, der Historiker und Philosoph Kallisthenes aus Olynth. Seine Aufgabe war es, die Geschichte des Zuges zu schreiben und der griechischen Welt zu vermitteln.Alexander war kein seinen Augenblickseingebungen folgender Mensch, sondern plante sorgfältig. Vor jeder neuen Etappe des Feldzuges wurden genaue Erkundigungen eingeholt über das, was einen erwarten konnte. Die Planung und der Schriftverkehr waren die Aufgabe der Kanzlei, der der einzige Grieche in der näheren Umgebung Alexanders vorstand, Eumenes aus Kardia auf dem Thrakischen Chersones — kein Federfuchser übrigens, sondern ein fähiger Militär, der in den Nachfolgekämpfen eine wichtige Rolle spielen sollte. Die Kanzlei erledigte die Korrespondenz, führte die Ephemeriden, also das Tagebuch des Feldzuges, und bei ihr wurden Entwürfe für zukünftige Pläne und Aufgaben angefertigt, die hypomnemata.Die Herrschaft hatte aber auch ihren persönlichen Aspekt. Ein Kreis von über hundert Personen wurden als hetairoi bezeichnet, »Gefährten«, wohl zu unterscheiden von der Hetairenreiterei. Von ihnen waren im letzten Lebensjahr des Königs zwischen 60 und 70 ständig in seiner Nähe. Ihr Kreis deckt sich nicht mit den Inhabern offizieller Funktionen wie hoher Kommandostellen, doch gibt es eine starke Überlappung. Die hetairoi hatten immer beim König zu sein, auch im Kampf, wenn ihnen keine anderen Aufgaben zugewiesen worden waren, sie hatten immer Zutritt zu ihm, bildeten seine Tischgesellschaft und stellten einen informellen Rat dar. Von ihnen ist wiederum die engste Gruppe der Vertrauten zu unterscheiden, die somatophylakes, wörtlich die »Leibwächter«. Das waren keine »Gorillas«, die nur auf die körperliche Sicherheit des Königs zu sehen hatten, obwohl das auch ihre Aufgabe war; sie waren nie mehr als sieben: unter ihnen Hephaistion (Alexanders Urfreund), der spätere Diadochenkönig Lysimachos sowie Ptolemaios, der spätere König von Ägypten.Nimmt man nun noch den Chiliarchen, also den — nach Alexander — obersten Soldaten und Befehlshaber der Leibgarde hinzu, dann ergibt sich eine komplexe Struktur der zentralen Führungsspitze, die zweierlei gewährleistete: Erstens bot sie gewissermaßen den organisatorischen Unterbau der Herrschaft des Königs, und zweitens wurde wegen ihres Ineinander von verwaltungsmäßiger Kompetenzverteilung und persönlicher Bindung erreicht, dass der Wille des Königs allein ausschlaggebend war — oder anders gesagt: Der Wille des Königs war die entscheidende Kraft, aber damit er sich sachgerecht durchsetzen konnte, war es nötig, beim König eine wohl organisierte Zentrale einzurichten. Ähnlich könnte man die territoriale Organisation des Reiches charakterisieren. Alexander übernahm die persische Satrapienverwaltung, wandelte sie aber entsprechend den neuen Erfordernissen ab. Die Satrapen hatten die allgemeine Oberaufsicht über die Geschehnisse in ihren Satrapien und übten wohl auch die Gerichtsbarkeit aus; das war schon immer so.Hatten aber die früheren Satrapen auch über das Finanzwesen bestimmt, einschließlich des Münzrechtes, so trennte Alexander dies ab und organisierte es neu. Die Finanzen bestanden aus Steuern im Sinne von Geld- und Naturalabgaben sowie von Zöllen und Wegegeldern, aus Einkünften der königlichen (landwirtschaftlichen) Besitzungen wie etwa in Ägypten und aus Abgaben der aus den Satrapien herausgenommenen Gebiete, insbesondere der Städte. Es wurde eine eigene Reichsmünze nach attischem Fuß geschaffen. Auch das Militär wurde der Kompetenz der Satrapen entzogen, und hier gibt es eine Differenz zwischen der Regelung im Westen und der im Osten: Dort, wo die Satrapen Makedonen oder Griechen waren, hatten sie die Befehlsgewalt über die makedonischen Truppen und das einheimische Aufgebot; waren die Satrapen Einheimische, gab es entweder einen eigenen makedonischen Kommandeur oder doch wenigstens einen makedonischen Aufseher.Das führt zum Gesichtspunkt der handgreiflichen Sicherung der Macht. An vielen Stellen ließ Alexander Besatzungen zurück, teils direkt unter seinem Befehl, meistens aber unter dem der Satrapen beziehungsweise der Strategen. Wichtiger war die Anlage von Militärkolonien, also die Ansiedlung von griechischen und makedonischen Veteranen; das war schon in Griechenland geschehen und wurde nun in größerem Stil weitergeführt. Allerdings sind solche Ansiedlungen rein militärischen Charakters nur schwer von der dritten und folgenreichsten Form der physischen Machtsicherung zu unterscheiden, der Gründung von Städten. In der Antike hieß es, Alexander habe 70 Städte gegründet, die heutige Forschung hat nur 16 bestätigen können, die alle Alexandria hießen.Ein Sonderfall ist die Stadt Alexandria in Ägypten. Bei ihr überwog, aus ihrer Lage und Anlage zu schließen, die Funktion, eine starke wirtschaftliche Rolle zu spielen und die Verbindung mit Griechenland aufrechtzuerhalten, dagegen hatten alle anderen Alexandrias militärischen Charakter. Auch das schließen wir aus ihrer Lage: Sie befanden sich sämtlich im Osten, vor allem im Nordosten und in Indien; die letzte Stadt dieses Namens war Alexandria in Babylonien. Angesiedelt wurden auch hier griechische Söldner, aus dem Heeresdienst entlassene Makedonen, aber auch Einheimische. Ihre Aufgabe war die Sicherung des Gebietes, darüber hinaus hatten sie die Funktion der Verbreitung der griechischen Zivilisation.Der berühmteste organisatorische Maßnahmenkomplex Alexanders war seine Nationalitätenpolitik. Alle verwaltungsmäßigen und militärischen Regelungen konnten das Grundproblem nicht hinreichend lösen, das darin bestand, wie die Herrschaft über ein solch riesiges Gebiet mit so unterschiedlichen Völkern und religiösen wie politischen Traditionen zu sichern und zu legitimieren sei. Alexander versuchte eine Lösung auf den verschiedensten Ebenen. So trat er zum Beispiel die Nachfolge in der jeweiligen Herrschaftsform an: Er wurde der Adoptivsohn der karischen Dynastin Ada, er wurde Stadtherr von Tyros, er wurde Pharao von Ägypten, er opferte dem babylonischen Stadtgott, wie es der babylonische König tat, und er wurde schließlich der Nachfolger des Perserkönigs, wurde also König der Könige. Aus dieser Funktion sowie aus seiner Praxis, immer mehr Einheimische für Heer und Verwaltung heranzuziehen, ergaben sich schwere Konflikte mit den Makedonen und Griechen, die sich häuften, je weiter der Zug nach Osten vordrang.Zunächst erregte Anstoß die Tatsache, dass Alexander nach dem Tod des Dareios damit begann, persische Hoftracht zu tragen; nicht vollständig, so verzichtete er auf die langen Hosen, aber doch auffällig; auch ließ er sich von Persern kniefällig verehren. Von der makedonischen Reaktion war noch harmlos, dass Leonnatos sich darüber lustig machte; zur Katastrophe wurde die Opposition für Philotas, den Befehlshaber der Reiterei. Ihn hatte Alexander wohl im Zusammenhang mit dieser perserfreundlichen Politik im Verdacht, eine Verschwörung gegen ihn zu unternehmen, und ließ ihn hinrichten; auch sein Vater Parmenion, der alte Waffengefährte Philipps, der 336 v. Chr. schon mit der Vorausabteilung des makedonischen Heeres nach Kleinasien übergesetzt war und jetzt von Ekbatana aus die rückwärtigen Verbindungen kontrollierte, wurde in einer Blitzaktion getötet. Nachfolger des Philotas wurde Kleitos, der Alexander am Granikos das Leben gerettet hatte, aber auch er fiel seiner Opposition gegen die Perserpolitik zum Opfer. Bei einem Trinkgelage in Samarkand gab es ein heftiges Wortgefecht mit Alexander, in dessen Verlauf der König seinen Lebensretter eigenhändig erstach.Der letzte schwere Zwischenfall ereignete sich vor dem Abmarsch nach Indien. Alexander wollte in einer sorgfältig vorgeplanten Aktion bei einem Gelage eher unter der Hand die kniefällige Verehrung, die Proskynese, auch für Makedonen und Griechen verbindlich einführen. Ein Kelch wurde herumgereicht, aus dem sollte man trinken, sich hinwerfen und dann einen Kuss von Alexander erhalten. Als die Reihe an Kallisthenes kam, weigerte sich dieser; er bekam nun keinen Kuss, machte darüber eine schnippische Bemerkung, und obwohl sein Verhalten wegen seiner Störrischkeit und mangelnden Diplomatie durchaus auch getadelt wurde, war doch die Einführung der allgemeinen Proskynese gescheitert. Kallisthenes aber wurde der Beteiligung an einer Verschwörung der königlichen Pagen beschuldigt und hingerichtet. Mehr als alles andere verschaffte das Alexander bei vielen Griechen den Ruf, zum Tyrannen geworden zu sein.In diesen Zusammenhang gehört das Problem seiner göttlichen Verehrung. Schon nach seinem Besuch bei Ammon in der Oase Siwa verbreitete sich die Vorstellung, mit der Anrede als »Sohn des Ammon« sei nicht nur die göttliche Abkunft, sondern überhaupt die Göttlichkeit Alexanders gemeint gewesen. Diese Vorstellung griff um sich, und anscheinend hat Alexander nichts getan, um ihr entgegenzutreten, ja, er hat sie sogar gefördert. Orientalisch war daran wenig. Dass der Pharao der Sohn Amuns sei, ist ein ganz alter, rein ägyptischer Glaube. Der Perserkönig war, entgegen vieler landläufiger Ansichten, kein Gott. Es ist im Gegenteil griechisch, besonders hervorragenden Menschen zuzuerkennen, dass in ihnen Göttliches wirke, das dann auch in kultischen Formen verehrt werden könne. Es ist daher auch kein Zufall und hat wenig Skandalöses an sich, dass Alexander nach seiner Rückkehr an die griechischen Städte die Aufforderung gerichtet haben soll, ihn göttlich zu verehren. Aus einem sehr praktischen Gesichtspunkt heraus spricht viel dafür, dass Alexander wirklich darauf zusteuerte. Er musste ja dafür Sorge tragen, dass dieses größte, heterogenste aller bisherigen Reiche zusammengehalten wurde, und dafür waren außer militärischen und administrativen auch psychologische Vorkehrungen erforderlich.Probleme traten in dem Augenblick konzentriert auf, als Alexander wieder in Mesopotamien eintraf. Zwei dramatische Ereignisse ragen heraus, die Massenhochzeit von Susa und die Meuterei von Opis. In Susa setzte Alexander den symbolischen und zugleich sehr realen Schlusspunkt unter seine Nationalitätenpolitik, indem er, bei sich selber angefangen, viele Tausend Makedonen und Griechen mit orientalischen Frauen verheiratete. Alexander hatte schon in Baktrien Roxane, die Tochter eines sogdischen Fürsten, geheiratet; jetzt nahm er noch die Tochter des Dareios und die von dessen Vorgänger Artaxerxes III. Ochos dazu. Sein engster Freund Hephaistion erhielt ebenfalls eine Tochter des Dareios, und neben vielen weiteren makedonischen Großen erhielt auch der Chef der Hypaspisten, Seleukos, eine Iranerin, ausgerechnet die Tochter des gefährlichsten Gegners Alexanders, des Spitamenes. Die einfachen Soldaten bekamen nun nicht jeweils eigens ausgesuchte neue Gemahlinnen, sondern es wurden nur ihre Konkubinatsverhältnisse als legale Ehen anerkannt, und man mag daran zweifeln, ob jeder dieser Kämpen so besonders glücklich darüber war.Das ist ein Gesichtspunkt, der allein schon genügte, die übliche Einschätzung dieser Massenhochzeit als Ausdruck einer Verschmelzungspolitik im Sinne von Gleichberechtigung zu bestreiten. Richtig ist, dass die aus diesen Verbindungen hervorgehenden Kinder zu gleichen Teilen griechisch-makedonischer und iranischer Herkunft waren, und insofern war eine Gleichwertigkeit der beiden Bestandteile gegeben; die Erziehung dieser Kinder dürfte aber griechisch gedacht gewesen sein. Richtig ist auch, dass Alexander mit gutem Beispiel voranging. Aber es wurde gewissermaßen nur in eine Richtung geheiratet: Der orientalische Bestandteil der Ehen war immer weiblich, also minderbewertet, nie hören wir davon, dass Orientalen in ostentativer Weise griechisch-makedonische Frauen bekommen hätten.Ähnlich steht es mit den Vorgängen in Opis. Schon in Susa hatte Alexander 30000 junge Perser in das makedonische Heer aufgenommen, und zwar makedonisch ausgebildete; etwas später wurden sie so in das makedonische Heer eingegliedert, dass auf vier makedonische Soldaten zwölf persische kamen, jedoch die Makedonen das jeweilige Kommando in den Einheiten hatten. Diese Einbeziehung war nur eine Konsequenz aus den Erfahrungen seines asiatischen Feldzuges, in dessen Verlauf ja immer mehr einheimische Soldaten eingegliedert wurden. In Opis dann, einer Ortschaft nördlich von Babylon, traf er eine Maßnahme, die seine makedonischen Soldaten endgültig so verletzte, dass sie ihm die Gefolgschaft verweigerten. Die lang Dienenden sollten nämlich nach Europa entlassen werden, aber anstatt dass sie sich darüber freuten, fühlten sie sich gegenüber den neu aufgenommenen Persern zurückgesetzt, und aus Solidarität mit ihnen erklärten auch alle anderen Makedonen, dass dann auch sie nach Hause wollten.Hier scheint sich auch eine spezielle Form der Erbitterung über Alexanders Gottessohnschaft geäußert zu haben. So sehr sie in griechischem Denken lag, so sehr scheint sie altmakedonische Soldaten verletzt zu haben. Sie hatten sich trotz aller inzwischen eingetretenen Veränderungen und Erfolge immer noch die Anhänglichkeit an ihren großen Kommandeur Philipp bewahrt und mussten die Ersetzung Philipps durch Ammon als Vater Alexanders schmerzlich empfinden: Er brauche sie ja nicht mehr, sollen sie ihm zugerufen haben, und könne mit seinem Vater Ammon alleine auskommen. Alexander wandte sein schon in Indien angewandtes Mittel an, den Liebesentzug. Zum einen entließ er sie wirklich formell alle zusammen — ein Schachzug, den rund 275 Jahre später auch Caesar einmal anwandte —, zum anderen zog er sich tagelang in sein Zelt zurück. Anders als in Indien gaben diesmal die Soldaten nach. Die Veteranen zogen ab, und ein großes Versöhnungsfest wurde gefeiert.Das Ende kam schnell. Trotz des Todes von Hephaistion, Alexanders engstem Freund, Ende 324 v. Chr. blieb er weiter rastlos tätig, zog nach Babylon, empfing Gesandtschaften aus aller Welt — auch aus Karthago und vielleicht auch aus Rom —, begann große Wiederaufbauarbeiten in Babylonien, griff in die griechische Innenpolitik ein und bereitete weitere Feldzüge vor. Im Juni 323 v. Chr. befiel Alexander ein heftiges Fieber, an dem er, noch nicht 33 Jahre alt, starb. Die Faszination seiner Persönlichkeit und seiner Leistung blieb.Prof. Dr. jur. Wolfgang SchullerWeiterführende Erläuterungen finden Sie auch unter:Hellenismus: Griechische Zivilisation weltweitGrundlegende Informationen finden Sie unter:griechische KlassikBengtson, Hermann: Griechische Geschichte. Von den Anfängen bis in die römische Kaiserzeit. München 81994.Marcus Tullius Cicero: Gespräche in Tusculum. Lateinisch-deutsch, herausgegeben von Olof Gigon. Darmstadt 61992.dtv-Geschichte der Antike, herausgegeben von Oswyn Murray. 7 Bände. Aus dem Englischen. München 1-51988-96.Fischer-Weltgeschichte, Band 5: Die Mittelmeerwelt im Altertum, Teil 1: Griechen und Perser, herausgegeben von Hermann Bengtson. Frankfurt am Main 1993.Errington, Malcolm: Geschichte Makedoniens. Von den Anfängen bis zum Untergang des Königreiches.München 1986.Gehrke, Hans-Joachim: Jenseits von Athen und Sparta. Das dritte Griechenland und seine Staatenwelt. München 1986.Gschnitzer, Fritz: Griechische Sozialgeschichte. Von der mykenischen bis zum Ausgang der klassischen Zeit. 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Universal-Lexikon. 2012.